Hier: „Ganz gewöhnliche Helden“
„Keine starre Regel, eher als mögliche Randbedingung zeichnen sich gute Zukunftsgeschichten oft dadurch aus, dass sie in der Vollendeten Gegenwart beginnen oder enden. Meisterliche Science-Fiction schafft eine lange Strecke der Unbestimmtheit des zeitlichen Focus der Story. In diesem Sinne hoffe ich, ein passables Gesellenstück vorzulegen.“ Keines seiner Bücher hatte bisher einen solch kurzen Klappentext, Werner Vombusch neigt bekanntermaßen zu Eigenlob, wir werden aber vom Roman mehr als entschädigt.
Die Geschichte beginnt in einem ländlichen Randgebiet einer Megapolis. Beschrieben wird die Arbeit eines Vermittlers in Konfliktfällen zwischen Versorgungsbetrieben, die mit sehr unterschiedlichen Vorgehensweisen gemeinsam Kulturflächen bewirtschaften. Während BIONIK ausschließlich der Beeinflussung via biochemischer Bodenaufbereitung und Pflanzkultur (bis hin zu DNA-Anpassungen) verpflichtet ist, arbeitet NANTECH allein im Bereich der informationellen Physik (Nanotechnologie, 3-D-Drucker usw.). Der Vermittler ist Technischer Geschäftsführer, neben einer umfassenden Bildung in den Arbeitssektoren ist eine fundierte sozialpsychologische Vorbildung unumgänglich. Denn nicht nur die Techniken sind hochgezüchtet, sondern die Mitarbeiter der jeweiligen Fachgebiete konkurrieren nahezu ununterbrochen auf einer weltanschaulichen wie auch der produktiven Ebene. Schnell wird klar, dass die Arbeit eines Vermittlers nicht selten kriminaltechnisches Gespür verlangt, um bspw. zwischen unbewusster und unterschwelliger Sabotage zu unterscheiden. Ganz zu schweigen von der Aufklärung kleiner und großer Katastrophen, die niemand hat kommen sehen. Im Laufe der Abwicklungen der Vorfälle erfahren wir durch Rückgriffe auf die Vergangenheit, wie Katastrophen, Seuchen, Pandemien die Akzeptanz und den Willen schufen, unsere Ernährung nach und nach von der Biosphäre zu entkoppeln, uns eine Autarke Ernährung zu ermöglichen. Und mehr am Rande erfahren wir von programmierten Rohstoffen, die sich selbst zu Gebrauchsgegenständen und Werkzeugen umgestalten - die Zweite industrielle Revolution findet mehr am Horizont statt.
Mitten im Buch konfrontiert uns Werner Vombusch damit, dass der bisherige Text der Zusammenfassung historischer Grundlagen des aktuellen, weltanschaulichen Konflikts dienen soll. Das Dilemma, dass sich die Weltbevölkerung in zwei scharf getrennten geisteswissenschaftlichen Lägern erlebt, die Struktur der Biotech-Sphäre aber unbedingte engste Zusammenarbeit erfordert, erreicht den Höhepunkt in der Konfrontation von DNA verändernden Mikromaschinen und Elektronik okkupierenden Biologismen, deren Beeinflussung sich umso mehr menschlichem Einfluss entzieht, je mehr die verschiedenen Lager über Variationen ihrer Produkte Einfluss zu gewinnen versuchen.
Zum Ende der Erzählung wird offensichtlich, wo die Unterwerfung der Natur hinführen wird: Die Menschen werden lernen müssen, sich der selbstgemachten Natur anzupassen oder untergehen. Die Strategie der Evolution entzieht sich der Selbstbestimmung, denn die Evolution unterliegt einem zufallsbedingten Trial-and-Error-Verfahren, kein einzelner Faktor kann sich dauerhaft als allein gültiger Maßstab durchsetzen.
Dystopie, Utopie, gut, schlecht, Grauzone? Eins steht jedenfalls fest: Je mehr wir unsere Entwicklung beeinflussen, umso mehr entzieht sich uns dieser Vorgang. Grund genug, schon heute, von Zeit zu Zeit innezuhalten, Trends zu bewerten und Möglichkeiten abzuwägen.
Horst-Werner Willenberg - www.netzwesen.info - Bielefeld, 03.03.2022
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